Misstrauen ist ein stiller Killer
Das Thema Vertrauen liegt mir am Herzen. Im Coaching stelle ich immer wieder fest, dass Misstrauen ein Energie- und Kreativitätskiller ist. Das ist im Arbeitsleben genauso der Fall wie im privaten Miteinander. Der misstrauische Mensch ist einsam. Ihm bleiben die Erfolge des Vertrauensvollen verwehrt.
Darüber, was Vertrauen ist, wie Vertrauen entsteht und wozu Vertrauen führt, können ganze Bücher gelesen oder gar geschrieben werden. – In diesem Artikel habe ich deshalb nicht den Anspruch, das Thema erschöpfend zu behandeln. Ich möchte Ihnen nur einen Ansatzpunkt bieten, über einen Begriff nachzudenken, der jeden etwas angeht: den, der Vertrauen schenkt und den, dem Vertrauen geschenkt wird, bzw. den, der ruhig mehr vertrauen könnte und den, der durchaus mehr Vertrauen verdient hätte.
Die Folgen von Vertrauen bzw. Misstrauen
Stellen wir uns zwei Personen vor: Kollege K und Kollege L. Nun spielen wir zwei stark vereinfachte Szenarien durch.
Szenario A – K misstraut L
K geht mehr oder weniger bewusst davon aus, dass L genau kontrolliert werden muss, da er anderenfalls schlecht arbeitet oder ihn, K, bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, übervorteilt. Was folgt daraus?
- K hat weniger Energie, um sich um seine eigenen Aufgaben zu kümmern.
- L ist demotiviert. Wenn K ihn für faul und egoistisch hält, dann hat er keine Lust, sich im K-L-Team zu engagieren.
- L misstraut K. In diesem Team traut der eine dem Anderen kaum etwas Gutes zu.
- Das K-L-Team vergeudet wertvolles Potenzial.
Szenario B – K vertraut L
K geht mehr oder weniger bewusst davon aus, dass L ganz in Ordnung ist und einen guten Job machen will. Was folgt daraus?
- K ist frei und kann sich voll und ganz seinen Aufgaben widmen.
- L ist motiviert. Da K ihm Vertrauen schenkt, wird sein Selbstvertrauen gestärkt. Der Erfolg des K-L-Teams ist ihm wichtig.
- L belohnt K, indem auch er ihm vertraut.
- Das Potenzial des K-L-Teams übersteigt die Summe der Einzelpotenziale.
Was hier in isolierter Form dargestellt ist, wirkt auch in komplexen Strukturen. Es stimmt zwar, dass Kontrolle wichtiger wird, je unübersichtlicher eine Struktur ist, wenn aber die Strukturen nicht mehr Raum für Vertrauen bieten, dann sind sie krank bzw. unmenschlich und damit krank-machend.
Vertrauensvoll, nicht treu-doof
Vertrauen darf nicht mit Naivität verwechselt werden. Es ist gut mit Wachsamkeit und einem kritischen Geist vereinbar. Vertrauen kann nicht verordnet werden, denn es ist untrennbar mit Selbstvertrauen verwoben. Echtes Vertrauen ist organisch gewachsen. Es ist nicht so leicht zu erschüttern. Vertrauen wird bei Gesprächen über Führungsstil und Unternehmenskultur gerne als ein zentraler Wert formuliert. Zum wirklichen Wert wird diese Worthülse aber nur, wenn sie auch empfunden wird und nicht nur die kleine Vorzeigeschwester der großen KONTROLLE ist.
Wie schon eingangs gesagt: Das Thema Vertrauen liegt mir am Herzen und dies nicht, weil Vertrauen die vorherrschende Haltung zwischen den Menschen ist, sondern weil ich sehr oft beobachte, wie viel Potenzial durch gegenseitiges Misstrauen verschwendet wird. – Wir werden täglich mit vielen guten Gründen für Misstrauen versorgt. Und wenn wir erst einmal misstrauisch eingestellt sind, dann fällt uns all jenes in den Blick, das uns in unserer negativen Haltung bestärkt. Chancen, zu vertrauen, umgeben uns zwar auch, misstrauisch, wie wir nun einmal gestimmt sind, nehmen wir sie leider nicht wahr.
Drei Fragen zum Nachdenken über Vertrauen
- Kommt der Hang zum Misstrauen vielleicht daher, dass wir, indem wir Vertrauen schenken, das Gefühl haben, Verantwortung abzugeben und im Falle eines Vertrauensbruchs trotzdem verantwortlich sind bzw. gemacht werden?
- Ist Misstrauen einfach die coolere Haltung, da Vertrauen so leicht mit Kritiklosigkeit und Naivität verwechselt wird?
- Wer vertraut, kann enttäuscht werden. Wer misstraut, kann bestätigt werden. – Es liegt auf der Hand, dass wir Bestätigung suchen und Enttäuschungen vermeiden wollen. Ist das eine Erklärung dafür, dass wir leichter misstrauen als vertrauen?